Ein Gespräch über die nigerianische Startup-Szene und die Chancen eines deutsch-afrikanischen Startup-Austauschs mit Dr. Michael Blank (AHK) und Mirco Dragowski (Startup-Verband)

von Anna Holz

 

Michael, du hast neun Monate in Lagos, Nigeria für die AHK gearbeitet. Was hast du dort gemacht und wie war dein Eindruck von dem Land?

Michael: Die Nigerianer haben weltweit einen schlechten Ruf – nicht zuletzt wegen der vielen Spam-Mails, die angeblich aus Nigeria kommen. Aber ich kann das wirklich nicht bestätigen. Ich habe die Nigerianer als ausgesprochen nette, ehrliche und vor allem hart arbeitende Menschen erlebt. Ich war neun Monate lang der Delegierte der deutschen Wirtschaft in Lagos und habe dort das Thema Startups auf die Agenda gesetzt. Zusammen mit Kenia und Südafrika zählt Nigeria zu den drei wichtigsten afrikanischen Startup-Nationen. Allein schon wegen der schieren Größe des Landes, das mit 190 Millionen Einwohnern auch das bevölkerungsreichste afrikanische Land ist, kann man Nigeria nicht ignorieren. Die Stadt Lagos platzt mit ihren 20 Millionen Einwohnern aus allen Nähten. Sie ist eine Mega-City der Gegensätze, in der es sowohl Slums gibt, als auch mit Victoria Island eine Wirtschaftszone, die in vielen Bereichen westlichen Standards entspricht. Ich konnte die Startup-Szene in Lagos persönlich kennenlernen und war total beeindruckt. Da gibt es richtig tolle Unternehmen mit guten Geschäftsmodellen.

 

Was kennzeichnet die nigerianische Startup-Szene?

Michael: Die Nigerianer würden nicht das dreizehnte Dogwalker-Startup gründen. Sie befassen sich nicht mit Wohlstandsproblemen, sondern zum Teil mit echten Überlebensfragen. Da fällt mir zum Beispiel Redbank ein. Eine App, die dir sagt welche nächste Blutbank deine Blutgruppe vorrätig hat und dir auch noch den schnellsten Weg dahin anzeigt. Das ist so eine typische App, die wir bei uns nicht bräuchten. Hier kannst du im Notfall in jedes Krankenhaus gehen.

 

Was sind die Herausforderungen für die Startups?

Michael: Sie kämpfen mit Hindernissen, die uns völlig unbekannt sind. Dass zum Beispiel der Strom ausfällt oder die Internetverbindung, steht in Lagos auf der Tagesordnung – ziemlich katastrophal für junge Tech-Firmen Vor einigen Jahren wurde ein riesiges Projekt zur Digitalisierung Afrikas gestartet. Rund um den afrikanischen Kontinent werden Unterseekabel gelegt. Die helfen primär den Küstenregionen. Im Innenland muss man sich etwas anderes überlegen, beispielsweise Datenübertragung mithilfe von Satelliten.

Mirco: Das haben wir gerade im Silicon Valley gesehen. Dort wurde uns bei Google das Project Loon vorgestellt. Mithilfe von Ballons in der Atmosphäre sollen abgelegene Regionen mit Hochgeschwindigkeitsinternet versorgt werden. Das ist ganz spannend, was da passiert.

Michael: Da wir gerade von den Internetgiganten sprechen: Facebook hast du natürlich in Afrika auch. Es ist ein beliebtes Kommunikationsmedium für die Nigerianer. Amazon und Apple sind aber noch nicht präsent. Da ist der Markt noch sehr offen und es stoßen günstigere Anbieter rein, in Nigeria beispielsweise der Amazon-Klon Jumaia, ein Ableger von Rocket Internet.

Mirco: Jumaia ist doch auch das einzige Einhorn Afrikas.

Michael: Stimmt. Ich habe die mal besucht, total spannend. Für den Arbeitsmarkt ist das ein Segen, denn die suchen natürlich laufend Leute, von hochqualifizierten Programmieren bis hin zu einfachen Zustellboten. Da tut sich einiges.

 

Gibt es also auch Standortvorteile für afrikanische Ökosysteme?

Michael: Es gibt nicht DAS afrikanische Ökosystem. Die afrikanischen Umfelder für Startups sind alle speziell. Kenia zeichnet sich zum Beispiel dadurch aus, dass es im bargeldlosen Bezahlen führend ist. M-PESA hat eine Technologie entwickelt um mit dem Handy zu bezahlen und ganze Finanztransaktionen abzuwickeln. Das haben die u.a. auch geschafft, weil es eben auch kein flächendeckendes Bankensystem und keine großflächige Ausstattung des Landes mit Geldautomaten gab. Das war für die kenianische Startup-Szene so gesehen ein Segen. Der Mangel führt dazu, dass Startups in diese Lücken stoßen können und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Traditionelle Firmen, Industrien und Märkte existieren in manchen Bereichen noch nicht. Das schafft auch eine Freiheit, die wir hier nicht kennen. Ein weiterer Pluspunkt der Afrikaner ist ihre Bevölkerung. Das Durchschnittsalter liegt deutlich unter dem der Europäer, die sind sehr viel jünger und offener für neue Innovationen und Technologien.

 

Wie könnten wir gegenseitig voneinander lernen? Wie könnte ein Startup-Austausch mit Afrika aussehen?

Mirco: Ich glaube, der Austausch in der Peer-Group ist immer spannend für Startups. Sie sollten sich zu ihrer Branche und ihren Themen, auch ihren Technologien, spezifisch und länderübergreifend austauschen können. Auch das Thema Mentoring könnte spannend sein. Unser ehemaliger Gründungsvorstand Erik Heinelt ist zum Beispiel mit anderen Gründern als Mentor mit Ampion durch Afrika getourt und hat im Nachgang ein Startup aus Nairobi betreut. So eine tolle Initiative kann ein Vorbild sein. Auf der wirtschaftlichen Ebene kann Deutschland für afrikanische Gründer, die expandieren wollen, natürlich auch das Tor zum europäischen Markt sein. Sie profitieren von Netzwerk und Know-How über den deutschen Markt. In die andere Richtung ist auch Afrika für bestimmte deutsche Startups ein interessanter Markt. Ich denke da an peat, eine Pflanzenschutzapp mit automatischer Bilderkennung oder an coolar, die eine stromunabhängige Kühlkette entwickelt haben.

Michael: Unsere Accelerator-Programme sind für afrikanische Startups sicher auch interessant. Auf dem Kontinent gibt es noch kein so weit verbreitetes Acceleratoren-Netzwerk. Viele Acceleratoren in Deutschland und Europa suchen doch händeringend nach Startups. Wir haben ja beinah einen Zustand erreicht, wo es zu viele Programme und zu wenig Startups gibt. Außerdem sehe ich Möglichkeiten bei der Digitalisierung des deutschen Mittelstandes. Vielleicht stellt das Startup in Afrika die digitale Plattform bereit, die dem deutschen Mittelständler hilft, auf den afrikanischen Markt Fuß zu fassen.

Mirco: Absolut. Ich glaube Mittelständler und Startups haben einfach ein großes Transparenzproblem. Beide Seiten müssen wissen: wer sind die Akteure im jeweils anderen Land und wie bekomme ich Zugang zu diesen Akteuren? Da können wir als Verband und Kammer mit unseren Netzwerken und Partnern helfen.

Michael: Ein Riesenproblem vieler Startups ist, dass es so gut wie keine staatliche Unterstützung für sie gibt. Die afrikanische Politik könnte noch viel mehr tun um die Rahmenbedingungen zu verbessern, beispielsweise durch die Bereitstellung einer funktionierenden Internet- und Stromversorgung. Das gleiche gilt für die finanziellen Rahmenbedingungen. In Nigeria gibt es genügend Kapital, aber das wird nicht in Gründungen investiert, sondern liegt häufig auf Schweizer Bankkonten. Da könnte der Staat mehr Anreize bieten. Da müssen wir auf der Politikebene Aufklärungsarbeit leisten, um auf der staatlichen Seite einen Sinneswandel einzuleiten.

Mirco: Also könnten wir interessierte Regierungen in bestimmten Ländern Afrikas auch bei der Verbandsentwicklung unterstützen, quasi ein Mentoring für Verbandsarbeit. Auch ist Politikberatung für Regierungen denkbar. Die Politik kann an vielen Stellen noch besser darin werden, das Startup-Ökosystem zu stärken. Das muss aber immer auf Augenhöhe passieren.

 

Mit Indien und Israel gibt es ja bereits Austauschprogramme des Startup-Verbands. Wie funktionieren die aktuellen internationalen Programme des Verbands mit Indien (GINSEP) und Israel (GISEP)?

Mirco: Bei beiden Programmen helfen wir Startups beim Zugang zum jeweils anderen Markt. Wir machen die Brückenbauer – unsere Botschafter – auf den Seiten der Programme sichtbar und bieten somit einen Netzwerkzugang ins jeweils andere Ökosystem.

Ferner stellen wir Informationen zum jeweils anderen Markt bereit, so dass die Startups mit Hilfe von Informationen und Netzwerkzugang die ersten Schritte im neuen Markt machen können. Dazu kommt das Angebot, B2B-Opportunities im jeweils anderen Markt über unser Netzwerk zu erzeugen. Die Erfahrung zeigt, dass ein Startup in einem anderen Markt oft nach den ersten Kunden über die Einstellung von Personal und gegebenenfalls die Errichtung einer Niederlassung entscheiden.

Ein ähnlicher Ansatz kann auch für den Brückenbau zwischen dem afrikanischen und dem deutschen Startupökosystem geeignet sein. Wer weiß, vielleicht sehen wir auch irgendwann ein GASEP und füllen den Brückenbau mit Leben.

 

Michael Blank (blank.michael@dihk.de) ist Referatsleiter beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin, koordiniert und unterstützt von dort aus die Startup-Projekte der Deutschen Auslandshandelskammern weltweit (derzeit 140 Standorte in 92 Ländern). Er selber hat 7 Jahre in den USA und knapp 1 Jahr in Lagos/Nigeria gelebt und sich intensiv mit den Startup Ökosystemen vor Ort befasst.  

Mirco Dragowski (mirco.dragowski@deutschestartups.org) ist Geschäftsführer beim Bundesverband Deutsche Startups. Neben Vernetzungs- und Politikthemen interessiert er sich im besonderen für den Brückenbau nach Indien (GINSEP) und Israel (GISEP). Vor der Tätigkeit beim Startupverband war er Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und als Rechtsanwalt zugelassen.

Bei Interesse an den laufenden Afrika-Aktivitäten des Startupverbands ist auch Michael Müller-Rust (mmr@deutschestartups.org) ein guter Ansprechpartner.

 

INSIDE ist das Magazin des Bundesverbandes Deutsche Startups e.V. (Startup-Verband). Der Startup-Verband ist Repräsentant und Stimme der Startups in Deutschland und engagiert sich für gründerfreundliche Rahmenbedingungen. Im Dialog mit Entscheidungsträgern in der Politik erarbeitet er Vorschläge, die eine Kultur der Selbstständigkeit fördern und die Hürden für Unternehmensgründungen senken. Der Startup-Verband wirbt für innovatives Unternehmertum und trägt die Startup-Mentalität in die Gesellschaft. Als Netzwerk verbindet er Gründer, Startups und deren Freunde miteinander.

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