Der Vertrieb einer Innovation an Unternehmenskund*innen (Business-to-Business oder B2B Sales) ist eine der härtesten Nüsse für Startup-Gründer*innen, die es zu knacken gilt.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Fast Forward: Accelerating B2B Sales for Startups“, das am 13. April erschienen ist. In ihrem Buch teilen die Autoren Matthias Hilpert, Investor, und Martin Giese, Managing Director des XPRENEURS Incubators, ihre Erkenntnisse aus 40 Jahren operativer Erfahrung und aus Interviews mit 32 international erfolgreichen Gründerinnen und Gründern aus Unternehmen wie Celonis, Northvolt oder Peakon.
Fehler 1: Den Vertrieb zu früh an „Expert*innen“ auslagern
Wenn du keinen IT-Hintergrund hast, würdest du dir nicht anmaßen, deinem Entwicklungsteam zu sagen, wie es dein Produkt programmieren soll. Warum solltest du also versuchen, dein Produkt selbst zu verkaufen, wenn du keine Erfahrung im Vertrieb hast?
Im Vertrieb bei Startups gelten andere Regeln. Am Anfang geht es vor allem darum, eine kontinuierliche Feedbackschleife zwischen deinem Geschäftsmodell, deinem Produkt und deinen Kund*innen zu etablieren. Erst später wirst du den Vertrieb standardisieren und optimieren. Wir nennen diese beiden Phasen “Explore & Learn” und “Standardize & Optimize”.
Nur du als Gründerin oder Gründer bist in der zentralen Position in deinem Startup, die für einen erfolgreichen Vertrieb am Anfang notwendig ist. Erst später wirst du eine Vertriebsorganisation brauchen, um zu skalieren, was du begonnen hast.
“Der Vertrieb ist ein so wichtiger Bereich in deinem Unternehmen. Du kannst ihn nicht einfach an jemand anderen weitergeben. Als Gründerin oder Gründer musst du den Prozess selbst durchlaufen, um ihn zu verstehen. Am Anfang ist der Vertrieb eine sehr unternehmerische Tätigkeit. Wie findest du jemanden mit einem Bedarf? Wie kommst du an Kontakte?”
– Bastian Nominacher, Mitgründer & Co-CEO, Celonis
Fehler 2: Mit einem zu großen Marktsegment starten
Viele Gründer*innen beginnen den Vertrieb mit der Vision, dass ihr Produkt für viele verschiedene Anwendungsfälle nützlich sein kann. Und viele B2B-Startups sind tatsächlich irgendwann in vielen verschiedenen Branchen aktiv. Aber wenn du von Anfang an auf zu viele verschiedene Kunden abzielst, wird es dir schwer fallen, einen guten Produkt/Markt-Fit sowie Kunden zu finden.
“Wenn du einen Hammer hast, sieht alles um dich herum nach einem Nagel aus. Du fängst an, wie wild um dich herum zu hämmern, in der Hoffnung, diese Nägel zu treffen. Aber dann zerbricht das Porzellan und du stellst fest, dass das, was du getroffen hast, gar kein Nagel war. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei: Du musst weiter hämmern, um den Nagel zu finden. Deswegen ist der frühe Vertrieb Aufgabe der Gründer. Bevor du den Nagel nicht gefunden hast, also eine klare und konsistente Marktresonanz für dein Produkt bekommst, macht es keinen Sinn, ein Vertriebsteam einzustellen.”
– Felix Reinshagen, Mitgründer & CEO, NavVis
Fehler 3: Ein Produkt ohne ständiges Kund*innenfeedback bauen
Dieser Fehler ist zum Glück seltener geworden, seit viele Gründer*innen die Lean-Startup-Methode anwenden. Aber immer noch verbringen viele Teams (vor allem mit technischem Hintergrund) zu viel Zeit am Schreibtisch, anstatt rauszugehen und Feedback von ihren Kund*innen einzuholen.
Was Feedback mit Vertrieb zu tun hat? Wenn du jemanden bittest, dein Produkt nicht nur zu bewerten, sondern zu kaufen, bekommst du garantiert eine ehrliche Rückmeldung. Ein Ja oder Nein zeigt, ob dein Produkt „Schmerz“ so erfolgreich lindert, dass deine Kund*innen dir tatsächlich Geld dafür geben.
“Als wir in unserer Anfangszeit Schwierigkeiten hatten, voranzukommen, gab uns Paul Graham von Y Combinator einen brillanten Rat. Er sagte: ‘Baut nicht erst 18 Monate lang irgendwelche Funktionen. Verbringt stattdessen nur eine Woche damit, User anzurufen. Sagt ihnen, dass ihr all diese Funktionen bereits anbietet, und schaut mal, was passiert.’ Diese Woche wurde die deprimierendste Woche in unserem Leben. Von den 500 Leuten, die wir angerufen haben, waren vielleicht fünf daran interessiert, unseren Service zu nutzen.”
– Matt Robinson, Mitgründer & Vorstandsmitglied, GoCardless
Fehler 4: Zu wenig Geld verlangen
Preisgestaltung ist ein komplexer und oft unterschätzter Mechanismus, um den Wert einer Transaktion zu erhöhen. Deswegen verlangen viele Gründer*innen anfangs zu wenig Geld für ihr Produkt.
Wenn deine Preise zu niedrig sind, bekommst du eine Reihe von Problemen. Ein niedriger Preis signalisiert, dass der Wert deines Produkts geringer ist, was bei deinen Käufer*innen Misstrauen erzeugt. Und wenn dein Preis die komplexen Einkaufsprozesse bei deinen Firmenkund*innen nicht berücksichtigt, riskierst du deine Profitabilität.
Nur wenige B2B-Kund*innen lassen sich von einer (zu) hohen Preisgestaltung abschrecken. Wenn alles andere passt, kannst du immer noch verhandeln.
“Wir begannen mit einem Preisniveau, das eher niedrig und nicht sehr degressiv war. Und so berichtete unser Vertriebsteam oft von Kunden, die auf unseren Preis mit „Wow, das ist wirklich günstig!“ reagierten. Dies und die Investitionen, die wir in unser Produkt gesteckt haben (mittlerweile arbeiten mehr als 200 Mitarbeiter in den Bereichen Produkt und Engineering an der Verbesserung und Erweiterung der Funktionalitäten), haben uns zuversichtlich gemacht, dass wir höhere Preise verlangen können. Zusätzlich haben wir die Packaging-Struktur geändert, um den Kunden mehr Flexibilität zu bieten, zum Beispiel durch Add-Ons.”
– Jonas Rieke, COO, Personio
Fehler 5: Ein Pilotprojekt mit einer/m Kund*in verwechseln
Wann ist ein/e Kund*in ein/e Kund*in? Viele Gründer*innen berichten ihren ungeduldigen Investor*innen stolz von ihrem ersten Kunden. Dabei haben sie in Wirklichkeit nur Verträge über kostenlose Pilotprojekte unterschrieben. Der „Tod durch 1000 Pilotprojekte“ ist leider oft die Folge. Achte daher darauf, dass du nicht nur mit Innovationsabteilungen sprichst – und lege deine Verträge von vornherein auf eine langfristige Zusammenarbeit aus.
“Bis vor fünf oder zehn Jahren waren Pilotprojekte ein tolles Konzept. Der Kunde zahlte 5.000 oder 10.000 Euro und man wusste, dass er ernsthaft vorhatte, irgendwann zu kaufen. Heutzutage hat jedes Unternehmen seine Digitalisierungsabteilung, und deren einzige Aufgabe ist es, Piloten mit Startups durchzuführen – ohne die Absicht, jemals zu kaufen. Wenn deine einzigen Kunden Digitalisierungsabteilungen sind, ohne dass irgendwelche Fachgebietsleiter involviert sind, ist das ein Problem.”
– Alex Meyer, Mitgründer & Partner, 42CAP
Fehler 6: Zu lange an einem starren Vertriebsprozess festhalten
Aus dem Vertrieb, insbesondere aus den Gesprächen mit deinen Kund*innen, kannst du eine Menge lernen. Aber du kannst diese Erkenntnisse nur nutzen, wenn du deine Prozesse auf schnelle Iteration eingestellt hast.
Wenn du versuchst, deinen Vertriebsprozess zu früh zu standardisieren (etwa um ihn an dein Team zu delegieren), verpasst du wertvolle Lektionen für dein Produkt und deinen Prozess.
“Mein Rat an Gründerinnen und Gründer ist: Validiert und bewertet die grundlegenden Pfeiler eurer Unternehmen immer wieder neu, indem ihr euch mit euren Kunden austauscht.”
– Peter Carlsson, Mitgründer & CEO, Northvolt
Fehler 7: Nicht früh genug auf ein „Nein“ drängen
Aus Angst, ein Geschäft zu verpassen, zögern Gründer*innen oft, hart genug auf ein „Nein“ zu drängen. Mit anderen Worten: Sie qualifizieren ihre Interessenten in den frühen Phasen des Verkaufsprozesses nicht gründlich genug.
Auf diese Weise verschwendest du viele wertvolle Ressourcen an Kund*innen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie einen Vertrag unterschreiben. Gleichzeitig verbringst du so nicht genug Zeit mit den leichter zugänglichen Kandidat*innen.
“Bei jedem Verkaufsgespräch, nach dem ich fragte, hörte ich immer: „War super! Die sind wirklich interessiert!“ Ich wurde es leid, das zu hören. Im Verkauf musst du auf ein „Nein“ drängen. Es gibt so etwas wie einen richtigen „Nein“-Prozentsatz in den ersten Tagen – wenn du nicht oft genug „Nein“ hörst, drängst du nicht hart genug!”
– Ben Stephenson, Mitgründer & CEO, Impala
Fehler 8: Den Vertrieb aus dem Bauch heraus managen
Du kannst nur managen, was du misst. Leider managen viele Gründer*innen ihre CRM-Datenbanken nicht professionell genug. Um den Vertrieb zu steuern, verlassen sie sich darauf, wie sich die Dinge im Moment „anfühlen“ (oder was ihre Vertriebsmanager*innen glauben) anstelle der faktischen Datenlage.
Kurioserweise liegt das Problem bei SaaS-Produkten manchmal auch im Gegenteil: Datenüberlastung. Wenn du buchstäblich alles messen kannst, worauf sollst du dich dann konzentrieren? Zu viele Daten machen es schwer, den Überblick über deinen Vertriebsprozess und deine Pipeline zu behalten.
“Ich nenne es KYB – Know Your Business, also die Inputs für das, was du tust. Wenn du die Beziehung zwischen Input und Output nicht verstehst, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es einmal funktioniert, aber nicht wiederholbar ist. Und bei SaaS dreht sich alles darum: wie man es wiederholbar und effizienter macht.”
– Neil Ryland, Chief Revenue Officer, Peakon
Fehler 9: Den menschlichen Faktor für das Wachstum unterschätzen
Teammitglieder für den Vertrieb zu finden, ist schwierig – vielleicht die schwierigste Herausforderung von allen. Woher sollst du wissen, wen du für dein Team willst? Und werden die Leute, die du heute einstellst, auch in ein oder zwei Jahren noch die beste Wahl für dein Startup sein?
Fast alle Gründer*innen kämpfen mit der Frage, wie sie ihre Vertriebsorganisation aufbauen sollen. Unser Rat: Hol Dir im Vertrieb erfahrene Advisor und Investor*innen um Hilfe um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ab einem gewissen Grad an Komplexität zählt nur Erfahrung aus erster Hand.
“Heute würde ich keine Leute aus großen Unternehmen mehr einstellen, die genau wissen, wo wir in 10 Jahren sein sollten – aber nicht wissen, wie man von hier aus dorthin kommt. Ich würde nur noch Leute einstellen, die auch gesehen haben, wie unsere aktuelle Phase aussieht.”
– Nicolas Dessaigne, Mitgründer & Vorstandsmitglied, Algolia
Fehler 10: Alle Vertriebsressourcen auf die Gewinnung neuer Kund*innen konzentrieren
Mehr Kund*innen bedeuten mehr Umsatz, also gibst du alles, um deinen Kund*innenstamm immer weiter zu vergrößern. Doch was ist mit deinen bestehenden Kund*innen?
Viele Gründer*innen vernachlässigen das eine Marktsegment, dessen Türen für ihre Angebote bereits weit offen stehen: langjährige, glückliche Kund*innen.
“Wir könnten das Geschäft im nächsten Jahr verdoppeln, wenn ich nicht einen einzigen neuen Deal abschließen würde – allein mit neuen Produkten für die Seats, die wir heute schon verkauft haben. So wichtig ist Upselling für nachhaltiges und effizientes Wachstum.”
– Neil Ryland, Chief Revenue Officer, Peakon
Über die Autoren
Matthias Hilpert
Matthias Hilpert ist Investor in den Bereichen Early Stage Technology, Real Estate und Public Assets. Er gründete bereits während seines Studiums avalas.com, das erste Internetportal für Mobiltelefone Deutschlands, und war für mehr als 20 Jahre weltweit in der Telekommunikationsbranche für Vodafone, Orange und Salt tätig. Im Rahmen seiner letzten operativen Rolle verantwortete er das Privatkundengeschäft von Orange Schweiz mit 1 Milliarde Euro Umsatz. Er trug dort maßgeblich zu einer sehr erfolgreichen Private Equity Investition für Apax Partners bei, wodurch 800 Millionen Euro Unternehmenswert erwirtschaftet wurden. Als CEO von MH2 Capital mit Sitz in Berlin gilt er als einer der aktivsten privaten Investoren in Europa und ist Autor des Buchs „Fast Forward – Accelerating B2B Sales for Startups“. Matthias studierte Betriebswirtschaftslehre, Philosophie und Künstliche Intelligenz an der FAU Erlangen-Nürnberg, University of Edinburgh und LMU München.
Martin Giese
Martin Giese befasst sich seit über 20 Jahren mit Startups. Als früher Mitarbeiter, Gründer, Mentor, Coach und Investor in aktuell zwölf Startups kennt er den Finanzierungsprozess aus beiden Perspektiven.
Neben Startup-Finanzierung gehören Verhandlungen und die Schärfung von Geschäftsmodellen für technologiegetriebene Innovationen zu Martins Spezialgebieten. Martin baut dabei auf seine langjährige berufliche Erfahrung als leitender Manager bei Kabel Deutschland und später Vodafone.
Martin leitet als Managing Director den XPRENEURS-Incubator in München. Er betreut außerdem Gründer in europäischen Startup-Programmen wie Alchemist und Copernicus (ESA) und unterrichtet Kurse in Verhandlungsmanagement, Leadership und Business Model Incubation an führenden deutschen Universitäten.
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INSIDE ist das Magazin des Bundesverbandes Deutsche Startups e.V. (Startup-Verband). Der Startup-Verband ist Repräsentant und Stimme der Startups in Deutschland und engagiert sich für gründerfreundliche Rahmenbedingungen. Im Dialog mit Entscheidungsträgern in der Politik erarbeitet er Vorschläge, die eine Kultur der Selbstständigkeit fördern und die Hürden für Unternehmensgründungen senken. Der Startup-Verband wirbt für innovatives Unternehmertum und trägt die Startup-Mentalität in die Gesellschaft. Als Netzwerk verbindet er Gründer, Startups und deren Freunde miteinander. Wenn du an einer Mitgliedschaft im Startup-Verband interessiert bist, erfährst du hier etwas über die Vorteile einer Mitgliedschaft und kannst hier die Mitgliedschaft beantragen.