Vor einigen Wochen brachte der Startup Verband den CEO von heycar Deutschland, Dr. Reinhard Schmidt, und Mathias Entenmann, Managing Director und Partner bei BCG Digital Ventures, zu einer virtuellen Fragerunde zusammen. Nachfolgend ein Auszug aus der Diskussion mit der Geschäftsführerin des Startup Verbands Franziska Teubert über Corporate Business Building, die Entstehung von heycar und die Unterschiede zwischen Corporate Startups und Gründungen mit Risikokapital.
Franziska Teubert: Reinhard, beginnen wir ganz grundsätzlich – was macht heycar?
Reinhard Schmidt: Wir sind ein Online-Marktplatz für Automobile, auf dem ausschließlich Markenhändler*innen Neufahrzeuge oder hochwertige Gebrauchtwagen verkaufen. Unsere Fahrzeuge sind nicht älter als acht Jahre und haben weniger als 150.000 Kilometer gelaufen. Darüber hinaus besitzen alle Fahrzeuge eine Garantie. Die Nutzer finden die Fahrzeuge über eine aufgeräumte, werbefreie Seite. Insgesamt bietet unser Marktplatz rund 300.000 Fahrzeuge von über 3.000 Händler*innen. Die heycar Group ist nicht nur in Deutschland aktiv, sondern auch in UK, Spanien, Frankreich und den Niederlanden. Wir zählen inzwischen fast 550 Mitarbeitende und haben auch noch ein paar weitere europäische Länder im Blick.
Franziska Teubert: Wer steht hinter heycar?
Reinhard Schmidt: Zu den Gesellschaftern der heycar Group zählen Automobilhersteller wie Volkswagen oder Renault, sowie deren Finanzdienstleister Volkswagen Financial Services, Mercedes-Benz Mobility und RCI Bank and Services. Ferner ist die Allianz Versicherung Gesellschafter. Diese Trias aus Herstellern, ihren Banken und den Händlernetzwerken hat in unserer Branche jahrzehntelang für alle Seiten sehr gut funktioniert. Unsere Rolle als Corporate Startup ist es, dieses gut austarierte System in die Online-Welt zu überführen.
Franziska Teubert: Mathias, du warst für BCG Digital Ventures von Anfang an bei der Gründung von heycar dabei. Wie kam es zu der Idee und welche Rolle habt ihr dabei gespielt?
Mathias Entenmann: Volkswagen Financial Services, der Finanzdienstleister, der alle Marken des Volkswagen-Konzerns und die zugehörigen Händler bedient, kam mit einer Idee auf uns zu. Sie wollten einerseits einen besseren Service für die Händler*innen anbieten und andererseits Online-Kanäle mit Integration von Finanzdienstleistungen aktiv gestalten. Bisher hatten die Hersteller die Fahrzeuge produziert, Händler*innen verantworteten den Verkauf und das Finanzinstitut des Herstellers übernahm die Finanzierung.
Franziska Teubert: Wie seid Ihr vorgegangen?
Mathias Entenmann: Unsere User Research Maßnahmen haben gezeigt, dass Menschen, die nach neueren, qualitativ hochwertigen Autos suchten, sehr unzufrieden mit dem waren, was die Online-Welt ihnen bislang zu bieten hatte. Es gab unübersichtliche Kleinanzeigen-Portale, überfüllt mit Werbung, ohne Garantien. Nutzer mussten sehr viel Zeit investieren und vor allem Vertrauen haben, um online ein Auto auszusuchen oder sogar direkt zu kaufen. Gleichzeitig standen Händler*innen hohen und immer weiter steigenden Gebühren für das Online-Einstellen von Gebrauchtwagen gegenüber, die ihre Gewinnspanne ohne Garantie für die Generierung von Leads oder Verkäufen schmälern. Wir wollten ein komfortables und sicheres Online-Erlebnis bieten, wie man es aus anderen Branchen kennt – und das war es auch, was Händler, Käuferinnen und Käufer suchten.
Franziska Teubert: Warum denkst du, hat sich Volkswagen mit der Idee an BCG Digital Ventures gewendet und Euch als Beratern vertraut?
Mathias Entenmann: Wir bei BCG Digital Ventures sind „Business Builder“, die Ideen für neue, innovative Geschäftsmodelle entwickeln und bauen. Alle unsere Mitarbeitenden kommen von Startups oder aus dem Startup-Ökosystem, haben selbst schon Startups gegründet und digitale Produkte gebaut. Unsere erfahrenen Teams vereinen alle Profile, die es auch im Startup gibt – von Entwickler*innen bis zu Designer*innen. Das sorgt für Geschwindigkeit, was am Beispiel von heycar deutlich wird: Wir haben sehr schnell einen Test mit einem Berliner Händler*innen gestartet und schon nach wenigen Wochen das erste Auto verkauft. Das haben wir weiter iteriert, bis wir nach nur sechs Monaten genug Händler*innen und Inventar zusammen hatten, um im Herbst 2017 mit einem Minimal Viable Product und einem hervorragenden Team an den Start gehen zu können.
Franziska Teubert: Der Begriff „Corporate“ hat ja in der Startupwelt manchmal einen negativen Beigeschmack. Reinhard, welche Auswirkungen hat es, dass bei heycar Konzerne die Kapitalgeber sind und nicht VC-Firmen?
Reinhard Schmidt: „Corporate“ geht eindeutig mit dieser negativen Konnotation von langsam, kompliziert und so weiter einher. Aber ich muss feststellen, dass wir als Corporate Startup das Beste aus beiden Welten – Startup & Corporate – nutzen können und von beiden Welten lernen können. Das gilt auch für die finanziellen und strategischen Implikationen. Unsere Gesellschafter sind strategische Investoren mit einer langfristigen Perspektive. Das heißt, dass wir keine kurzfristigen Kompromisse machen müssen, um beispielsweise eine nächste Finanzierungsrunde zu überleben. Wir müssen nicht um jeden Preis eine „Geschichte“ erzählen. Wir haben das Privileg, uns auf nachhaltigen Erfolg konzentrieren zu können. Gerade in turbulenten Zeiten erlaubt uns das, uns auf das zu fokussieren, was wirklich zählt. Das nehme ich als immensen Vorteil wahr. Aber natürlich haben wir auch einen ambitionierten Wachstumsplan und da müssen wir liefern. Wir müssen die Mittel und die Unterstützung, die wir erhalten, rechtfertigen und diese müssen sich langfristig auszahlen. Aber wir haben wahrscheinlich eine andere Art von Stabilität als die meisten VC-finanzierten Startups.
Franziska Teubert: Mathias, siehst du bei den etablierten Großunternehmen ein Umdenken in Sachen Digitalisierung? Interessieren die sich inzwischen mehr für eine interne Transformation oder für die Welt der Startups?
Mathias Entenmann: Wir sehen beides. Bei einem großen multinationalen Konzern hat es ein Startup natürlich schwerer, wahrgenommen zu werden. Wenn jemand Ausgaben von 50 Milliarden Euro hat und die Prozesse um nur ein Prozent effizienter gestalten kann, sind das auf einen Schlag 500 Millionen Euro. Als Neugründung tut man sich naturgemäß schwer, sofort in dieser Größenordnung mitzuspielen. Es ist also verständlich, wenn Corporates erst mal auf ihre laufenden Geschäfte und Prozesse schauen. Trotzdem merken sie, dass neue Dinge entstehen und die alten Geschäftsmodelle in vielen Fällen langfristig nicht mehr mithalten können. Und sie haben dann einen vielfältigen Werkzeugkasten zur Verfügung: Bosch und BMW sind zwei erfolgreiche Beispiele für Corporate VC-Fonds. Es gibt Firmen, die lieber auf Inhouse-Inkubatoren oder interne Innovationsabteilungen setzen – das sind dann meistens Teams, die etwas näher an den bisherigen Kernprodukten arbeiten. Und es gibt externe Gründungen wie wir sie mit Volkswagen Financial Services und heycar gesehen haben. Alles davon hat unter den richtigen Umständen seine Berechtigung und jede Variante hat ihren Platz.
Franziska Teubert: Reinhard, heycar hat inzwischen knapp 550 Mitarbeitende. Was ist in Sachen Talentsuche für ein Corporate Startup anders, als wenn Ihr VC-finanziert wärt?
Reinhard Schmidt: Wir wachsen sehr erfolgreich und ich bin mir sicher, dass das immer auch massive Möglichkeiten für individuellen Erfolg bietet. Wir engagieren uns sehr stark in der Mitarbeiterentwicklung und das sieht man an zahlreichen Laufbahnen innerhalb von heycar aber auch aus dem Unternehmen heraus. Das macht aus meiner Sicht einen attraktiven Arbeitgeber aus. Diversität ist in diesem Kontext wichtig – und einer unserer fünf Grundwerte: So setzen wir alles daran, eine Umgebung zu schaffen, in der jede und jeder einfach sie selbst sein können. Wir sind sicher, dass unterschiedliche Erfahrungen, Sichtweisen und Hintergründe zu besseren Lösungen führen. Aktuell haben wir z.B. Kolleginnen und Kollegen aus 16 verschiedenen Ländern. Und auch wenn wir schon eine Menge großartiger Talente gefunden haben: Wir stellen derzeit immer noch welche ein!
Franziska Teubert: Mathias, wie steht es bei BCG Digital Ventures um die Talentsuche?
Mathias Entenmann: Viele unserer Mitarbeitenden schätzen, dass sie bei uns in kurzer Zeit und auf einfache Weise einen Einblick in sehr viele Firmen und Gründungen bekommen. Bei einem Startup bleibt man in der Regel ein bis drei Jahre. Bei uns lernt man in diesem Zeitraum zwischen fünf und 15 Unternehmen kennen und das beflügelt den „entrepreneurial spirit“ in unseren Mitarbeitenden: Einige von ihnen haben eigene Startups gegründet, zum Beispiel GetSteps, Tier oder Alpaca. Andere sind zu unseren eigenen Ventures wie heycar, Up42, LabTwin oder ToolTime gewechselt. Wir tragen also auf zahlreichen Ebenen erfolgreich zum Startup-Ökosystem bei und wer das sucht, findet bei uns ein dynamisches Arbeitsumfeld, in dem man tolle Sachen bauen und wirklich etwas bewegen kann.