Dr. Markus Gick, Senior Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung, über die Bertelsmann-Studie „Der deutsche Mittelstand und das Potenzial des israelischen Startup-Ökosystems“, Unterschiede und Gemeinsamkeiten des deutschen Mittelstands und des israelischen Startup-Ökosystems und die Chancen einer Kooperation beider Welten.

 

Paul Wolter: Was hat für die Bertelsmann Stiftung den Ausschlag dafür gegeben eine Studie zu erstellen, die das Potential des israelischen Innovations-Ökosystemes für den deutschen Mittelstand analysiert und Handlungsempfehlungen für interessierte deutsche Mittelständler erarbeitet?

Markus Gick: Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich gemäß Ihrer Satzung für die Förderung der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere in den Bereichen Politik, Bildung und Kultur. Projekte mit Israel zielen auf eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Deutschland und Israel. Zukunftsgeleitete Interessen wie die Zusammenarbeit im Bereich Entrepreneurship und Innovation sind die Grundlage für eine Intensivierung der bestehenden Beziehungen, besonders vor dem Hintergrund, dass die gemeinsame Geschichte und historischen Erfahrungen zur Definition der Beziehungen an Wirkmächtigkeit verlieren.

Im Bereich Innovation und Entrepreneurship glauben wir, dass besonders der deutsche Mittelstand und das israelische Innovationsökosystem große Potentiale in der Zusammenarbeit haben, die bisher noch nicht annähernd gehoben wurden.

 

Paul: Ihr empfehlt kleinen und mittelständischen Unternehmen in das israelische Innovations-Ökosystem einzutreten und dort vor allem Startups zu adressieren. Warum nicht den eigentlich näher liegenden Schritt vorher tun und sich im heimischen Startup-Ökosystem umschauen?

Markus: Innovation und Entrepreneurship dürfen in Zeiten der Globalisierung und eines internationalen War of talent nicht mehr rein national gedacht werden. Man darf aber auch nicht die Förderung der nationalen Innovationsökosysteme vernachlässigen, vor allem derjenigen, die lokal in den Mittelstandclustern Deutschlands verortet sind. Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich deshalb in beiden Bereichen:

Ein Credo unseres Gründers Reinhard Mohn lautet „Von der Welt lernen“. Wir machen dies in der Bertelsmann Stiftung sowohl mit Blick auf die Startup Nation Israel, aber auch im Programm Deutschland-Asien, das Deutschland hilft, die Innovationspotentiale Indiens und Chinas zu erschließen.

Auf regionaler Ebene unterstützt die von der Bertelsmann Stiftung gegründete Founders Foundation lokales Entrepreneurship in Ostwestfalen. Hier werden erfolgreich nicht nur Innovationen in der Region gehalten, sondern auch neue Ideen gefördert und junge Menschen bei der Gründung eines Startups mit Know-how, Netzwerken und Kontakten zu Finanzierungsmöglichkeiten unterstützt.

Zusammenfassend benötigen wir sowohl inländisches wie auch ausländisches Innovationspotential, um weltweit in der Champions League mitzuspielen.

 

Paul: Was für Vorteile hat es aus eurer Sicht R&D quasi nach Israel auszulagern? Macht es auf lange Sicht nicht mehr Sinn inhouse in Deutschland Strukturen aufzubauen um vor Ort das nötige Know-how zu etablieren?

Markus: Die Beantwortung dieser Frage hängt sehr vom Einzelfall ab. Einerseits macht es natürlich Sinn, inhouse Innovationen in Deutschland zu generieren. Jedoch kann dies relativ lange dauern, und wie die EU-Kommission bereits seit 2003 beständig moniert, existiert ein Innovationdefizit im deutschen Mittelstand. In Zeiten, in denen sich der Produktentwicklungszyklus nicht mehr in Jahren, sondern Monaten bemisst, macht es also Sinn, schnell Innovationen ins Unternehmen zu integrieren. Es wird somit schneller sein, das nötige Know-how erst einmal einzukaufen, und im zweiten Schritt selbst aufzubauen. Die Erfahrungen, die man bei einem solchen Innovationsimport nicht nur in technologischer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich Mentalität und Startup-Spirit schafft, können sich auch inhouse positiv auf die Forschung auswirken.

Zudem ist der deutsche Mittelstand auf inkrementelle Innovationen spezialisiert, wie die iterativen Verbesserung eines bestehenden Produkts, z.B. der Kettensäge oder eines Feuerwehrautos. Startups in disruptiven Innovationen wie beim autonomen Fahren, Blockchain-Technologien, Smart Data oder auch künstlicher Intelligenz sehen wir mit großer Beständigkeit in Israel. Hier macht ein Blick über den Tellerrand Sinn – denn disruptive Technologien werden den Markt tiefgreifend verändern, wie es z. B. die digitalen Plattformen in den letzten 10 Jahren bereits getan haben.

 

Paul: Große deutsche Konzerne wie die Deutsche Telekom, Siemens und Merck sind bereits sehr aktiv auf dem israelischen Markt wenn es um Forschung und Entwicklung geht. Der deutsche Mittelstand hinkt hier in Teilen noch etwas hinterher. Warums ist das so?

Markus: Einer der Hauptantriebe für deutsche Mittelständler einen neuen Markt zu betreten, liegt in den Absatzmöglichkeiten. Erst langsam setzt sich die Überzeugung durch, dass auch die Gewinnung von Innovationspotential ein Grund für einen Markteintritt sein kann. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Kooperation von Gundlach Packaging, einem großen Mittelständler aus Ostwestfalen, und Scodix, einem israelischen Druckmaschinenhersteller in Israel. Erst kürzlich wurde das europaweit erste und weltweit zweite digitale Druckveredelungssystem gemeinsam in Deutschland installiert. Und dies ist nur ein Beispiel für eine gelungene Kooperation im F&E-Bereich. Es ist aber natürlich richtig, dass es für Großkonzerne alleine schon aufgrund der finanziellen Ressourcen leichter ist, dieses Potential zu heben. Jedoch liegt hier das Risiko für ein Scheitern oft in den internen Prozessen, die eben meist nicht schlank sind. Hier können deutsche Mittelständler mit kurzen internen Wegen die idealen Partner für israelische Startups sein.

 

Paul: Was sollten deutsche Mittelständler beachten, bevor sie den Markteintritt in Israel wagen? Sind das vor allem formelle oder doch eher kulturelle Hürden, die genommen werden müssen?

Markus: Als erstes sollte man sich im Land umsehen. Man sollte verstehen, wie das israelische Innovationsökosystem funktioniert, zum Beispiel – wie wir in unserer Studie vorgeschlagen haben – mit Scouts. Es gibt natürlich kulturelle und auch formelle Unterschiede. Um nur ein Beispiel zu nennen: Israelis tendieren dazu, sehr viel weniger formell im gegenseitigen Kontakt zu agieren als Deutsche. Andererseits kommt dieser Hands-on Ansatz gerade deutschen Mittelständlern entgegen. Auf organisatorischer Seite unterstützt Israel Innovationsprozess von Firmen durch eine zentralisierte F&E-Förderung gebündelt im Amt der Innovation Authority, einem starken Pool von Talenten aus den MINT-Fächern und einem aktiven Innovationsnetzwerk staatlicher und nichtstaatlicher Stakeholder vor Ort, was kurze Wege und eine Verringerung des bürokratischen Aufwandes zu Folge hat.

Zusammenfassend sind die Gemeinsamkeiten größer als die Unterschiede, und die Möglichkeit gegenseitige Stärken zu ergänzen und Bedürfnisse zu decken, eine der seltenen Gelegenheiten einer win-win Situation für beide Partner.

 

Paul: Insbesondere der Kauf von Argus Cyber Security – ein israelisches Startup aus dem Bereich Cyber Security für connected cars – durch Continental und der Exit des Future Mobility Startups mobileye hat für Aufsehen gesorgt. Für welche anderen Branchen des deutschen Mittelstandes ist Israel besonders interessant oder sollte man hier vielleicht gar keine Einschränkung auf bestimmte Branchen vornehmen?

Markus: Eine Analyse des Marktes macht auf jeden Fall Sinn, da sicherlich nicht jede Branche in Israel im gleichen Maße komplementäre Angebote für den deutschen Mittelstand bietet. Wir haben in unserer Studie Automotive, Elektronik, Industrie 4.0, Internet der Dinge, erneuerbare Energien und Cyber als für den deutschen Mittelstand besonders relevant identifiziert. In diesen Bereichen gibt es auch eine große Anzahl spezialisierter israelischer Startups. Das israelische Innovationsökosystem ist jedoch so agil, dass sich ein Blick auch in andere Bereiche lohnt. Hier können verschiedene Organisationen wie GISEP in Deutschland, aber auch Startup Nation Central oder die Innovation Authority in Israel Ansprechpartner sein, die wir neben anderen auch in unserer Studie aufgenommen haben.

 

Die Studie „Der deutsche Mittelstand und das Potenzial des israelischen Startup-Ökosystems“ beruht auf rund 60 qualitativen Interviews mit hochrangigen Vertretern deutscher Mittelständler und multinationaler Unternehmen. Des Weiteren wurde die Expertise von Akteuren wie ausländischen Unternehmen mit Berührungspunkten zur israelischen High-Tech-Unternehmenslandschaft, Schlüsselfiguren in israelischen Start-Ups, Universitäten oder NROs eingeholt. Durchgeführt wurden die Interviews durch ein Team der Hebräischen Universität Jerusalem, des israelischen Unternehmens Pinpoint, und den deutschen Unternehmen Eclareon und T-Base Consulting.

Dr. Markus Gick arbeitet als Senior Projekt Manager bei der Bertelsmann Stiftung. Seine privaten und beruflichen Schwerpunkte liegen auf der Gestaltung der deutsch-israelischen Beziehungen sowie dem Themenfeld Innovation und Entrepreneurship.

Das Interview führte Paul Wolter, Leiter Politik und Kommunikation des Bundesverbandes Deutsche Startups e.V.

 

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