Im diesjährigen TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz drehte sich keine einzige Frage um die digitale Revolution. Ich kann nur hoffen, dass das Duell kein Abbild der politischen Prioritäten der aktuellen politischen Akteure – insbesondere der sich abzeichnenden Jamaika-Koalition – ist. Denn in den kommenden vier Jahren müssen wir im Bereich Digitalisierung und Startups die richtigen Weichen stellen, damit Deutschland international nicht vollkommen abgehängt wird. Es ist höchste Zeit.
Weniger Regularien, mehr Freiheit
Dabei hat sich das deutsche Startup-Ökosystem seit seinem Bestehen eigentlich recht dynamisch entwickelt. Startups schaffen und sichern Arbeitsplätze, Leistungsfähigkeit und Wohlstand. Doch auch Startups bewegen sich nicht um luftleeren Raum. Sie sind von einem regulatorischen Rahmen umgeben. Dieser hat für die Digitalwirtschaft der Jahrtausendwende einigermaßen gepasst, die Technologie und mit ihr die Geschäftsmodelle der Startups sind diesem Rahmen jedoch längst entwachsen.
Um der Politik die heutigen Bedürfnisse von Startups näherzubringen, habe ich im Jahr 2012 zusammen mit anderen Unternehmern den Bundesverband Deutsche Startups gegründet.
Wenn man den regulatorischen Rahmen nun so anpassen möchte, dass er Startups in Deutschland den nötigen Raum zum Wachsen lässt, dann muss man sich zuerst die Frage nach den kritischen Faktoren für den Erfolg eines Startups stellen. Für mich sind das in erster Hinsicht Kapital und Köpfe. In diesen beiden Bereichen muss der Rahmen also am dringendsten angepasst werden. Doch auch eine moderne Netzpolitik spielt eine entscheidende Rolle für die Digitalisierung.
Mehr Wagniskapital
Es gibt in Deutschland eigentlich eine Menge privates Kapital. Leider findet es aber noch viel zu selten den Weg in innovative Startups. Laut dem EY Startup-Barometer flossen im ersten Halbjahr 2017 gut 2 Milliarden Euro Wagniskapital in deutsche Startups, davon jedoch allein 700 Millionen in zwei einzelne Deals. Das ist zwar deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum, doch verglichen mit den USA hinkt der deutsche Venture-Capital-Markt weit hinterher. Die Wagniskapital-Lücke zu den USA beträgt 60 Milliarden Euro.
Wer diese Lücke auf einen angeblich mangelnden Ideenreichtum oder kleingeistiges Denken deutscher Gründer zurückführt, verdreht die Kausalität: Wenn ich als Gründer bereits befürchten muss, waghalsige, besonders innovative Ideen gar nicht erst durch Investoren finanziert zu bekommen, dann gründe ich lieber doch wieder das nächste E-Commerce-Startup.
Ein Vorschlag, um hier Abhilfe zu leisten: Institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen müssen für Investitionen in Startups geöffnet werden. Dazu müssen aber zunächst die gesetzlichen Restriktionen, die solche Investitionen verhindern, entsprechend liberalisiert werden. Kapitalsammelstellen wie diese sollten zumindest 1% ihres Vermögens in Technologie und Startups – also in VC-Fonds – investieren dürfen. In den USA wird das schon lange erfolgreich praktiziert.
Mehr Gründer und Fachkräfte
Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten verlernt, ein Gründerland zu sein. SAP ist das einzige Unternehmen im DAX, dessen Gründer noch leben. Die Mehrheit der reichsten Deutschen hat ihr Vermögen geerbt, in den USA hingegen sind sie mehrheitlich „Self-Made“-Unternehmensgründer. Wenn Deutschland das Land der Erfinder ist, dann erfinden wir leider vor allem für andere.
Wir müssen lernen, Erfinder und Innovationen „Made in Germany“ mehr zu feiern. Es braucht Anerkennung anstelle von grundsätzlichem Misstrauen oder sogar Neid. Denn wir brauchen dringend mehr mutige Gründerinnen und Gründer!
Eine offene Einstellung zum Unternehmertum muss bei jungen Menschen bereits durch Entrepreneurship Education in Schule und Hochschule sowie in der beruflichen Bildung gefördert werden. Das ist einer der Gründe, warum ich erst kürzlich eine moderne Hochschule für digitale Produktentwicklung ins Leben gerufen habe, die ihre Studierenden bereits in jungen Jahren zum Gründen ermutigt. Die CODE University of Applied Sciences.
Im staatlich-verstaubten Hochschulwesen sehe ich massenhaft Missstände, die wir dringend angehen müssen. Bildung ist in Deutschland zwar kostenfrei, aber eben nur an staatlichen Einrichtungen. Warum stellt der Staat nicht jedem jungen Menschen ein Bildungsbudget zur Verfügung, und die Studenten entscheiden selbst, ob sie an einer staatlichen oder privaten Hochschule studieren möchten? Man stelle sich nur mal vor, welche Innovationen in der Bildung möglich wären, wenn unsere Hochschulen nicht mit dem Charme und der Innovationskraft von Behörden agieren würden.
Deutschland muss Heimat für talentierte Menschen aus aller Welt sein. Gründer und Fachkräfte aus anderen Ländern bleiben und arbeiten in Deutschland, wenn sie hier willkommen geheißen werden. Eine Willkommenskultur, die den Fachkräften den Einstieg in das Leben und das neue Land erleichtert, ist für den Standort Deutschland unerlässlich. Globale auf Renationalisierung ausgerichtete Bewegungen, die etwa zum Brexit geführt haben oder in der Trump-Wahl zum Ausdruck kamen, gefährden die Innovationsdynamik in diesen Staaten. Wenn diese Länder den klügsten Köpfen gerade ins Gesicht sagen „Wir wollen euch nicht“, dann muss Deutschland erst recht sagen: „Wir schon“. Wenn Recep Tayyip Erdoğan Akademiker und Intellektuelle aus dem eigenen Land treibt, sollten wir sie mit offenen Armen empfangen.
Eine moderne Netzpolitik
Eine moderne Netzpolitik streicht das Leistungsschutzrecht für Verleger und beerdigt die Pläne für ein europäisches Leistungsschutzrecht schnell und unmissverständlich. Moderne Netzpolitik sichert ohne Wenn und Aber die Netzneutralität und investiert massiv in den Ausbau von breitbandigem Internet.
Jetzt zu der deutschesten aller Digitalisierungs-Debatten: Datenschutz. Moderne und an den Chancen und Risiken orientierte Netzpolitik passt das deutsche Datenschutzrecht an die Realitäten des 21. Jahrhunderts an. In der Datenschutzdebatte hat schon viel zu lange die typisch deutsche Einstellung „Erst einmal verbieten, alles andere später!“ die Deutungshoheit. Das führt in einer globalisierten Welt leider in erster Linie dazu, dass Innovationen in der Datenanalyse und -verarbeitung nicht in Deutschland, sondern woanders auf der Welt entstehen.
Die digitale Revolution spielte im TV-Duell keine Rolle. Okay, abgehakt. Ich will und kann mir aber einfach nicht vorstellen, dass unsere gewählten Vertreter tatsächlich so entrückt sind und dieses Thema nicht auf dem Schirm haben. Liebe Politiker, bitte lest die Deutsche Startup-Agenda! So oder so: Es ist neben der globalen Renationalisierung, den Fluchtbewegungen und dem Klimawandel das wohl wichtigste Thema – wahrscheinlich sogar die größte Chance – unserer Zeit. Dieser Stellenwert muss sich auch im Koalitionsvertrag zwischen Union, FDP und den Grünen und dem letztendlichen Regierungshandeln niederschlagen. Hoffen wir, dass die Politik endlich aufwacht.
INSIDE ist das Magazin des Bundesverbandes Deutsche Startups e.V. (Startup-Verband). Der Startup-Verband ist Repräsentant und Stimme der Startups in Deutschland und engagiert sich für gründerfreundliche Rahmenbedingungen. Im Dialog mit Entscheidungsträgern in der Politik erarbeitet er Vorschläge, die eine Kultur der Selbstständigkeit fördern und die Hürden für Unternehmensgründungen senken. Der Startup-Verband wirbt für innovatives Unternehmertum und trägt die Startup-Mentalität in die Gesellschaft. Als Netzwerk verbindet er Gründer, Startups und deren Freunde miteinander.
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