Von Lisa Gradow, Mitgründerin von Usercentrics
Ganz frisch hat gerade der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern den Weg in meinen Posteingang gefunden. Auf 60 Seiten wird in eloquenter Prosa die Welt gemalt, wie sie den beiden Parteien gefällt. Auf dem Verteiler der CSU bin ich, weil ich mich gerne aus erster Hand informiere.
Als Gründerin eines Softwareunternehmens, Digital Native und gleichzeitig Datenschutzexpertin sind mir natürlich bestimmte Themen wichtig, die andere für weniger essentiell halten. Söder ist ungefähr so alt wie meine Mutter. Das ist gefühlt schon eine ganz andere Generation. Aber er teilt sein Essen auf Instagram (siehe vor 7 Tagen, “Ein Stück Fleisch mit Kloß – ein Hochgenuss”). Also leben wir doch irgendwo in derselben Zeit bzw. im selben Internet.
Und es gibt ja auch einige Politiker in der CSU, die mir alterstechnisch näher sind. Doro Bär zum Beispiel. Ihr folge ich auf Instagram, sie postet zum Glück kaum Essen, teilt viele persönliche, aber auch einige inhaltliche Dinge. Ihr #Flugtaxi-Vorstoß wurde hierzulande belächelt – was meiner Meinung nach im Übrigen genau unser Problem als Deutsche ist – aber ich fand den Vorstoß gut. Wenn man nach Silicon Valley schaut, auch nicht wirklich neu. Nun gut, zurück zum Koalitionsvertrag.
Datenschutz?
Mein Unternehmen bietet eine Datenschutzsoftware für Unternehmen, daher habe ich in dem Dokument als erstes nach dem Begriff Datenschutz gesucht, und Schock: 0 Ergebnisse. Eines der brisantesten Themen unserer Zeit vor dem Hintergrund sämtlicher Datenskandale und -Verstöße, Snowden, Cambridge Analytica & Co. und der gerade erst in Kraft getretenen DSGVO, die nach wie vor die Gemüter erhitzt, teilweise mehrdeutig geschrieben ist und an einigen Stellen beispielsweise Öffnungsklauseln bietet, derer man sich annehmen könnte – kein Wort von Datenschutz. Ok.
Vielleicht findet es sich ja unter einem anderen Begriff. Nächster Suchbegriff: Privatsphäre. Juhu, 1 Treffer:
“Wir wollen einen weitgehenden Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger sicherstellen und hierfür die Öffentlichkeit sensibilisieren.”
Aha. Das ist alles? Was soll das bedeuten? Diese Aussage ist an Nichtaussagekraft kaum zu übertreffen. Aber das haben Koalitionsverträge wohl so an sich. Fast eine ganze Seite bekommt demgegenüber die Verbesserung verschiedenster Stellschrauben des Beamtentums. Toll.
Ein paar Absätze darüber strahlt mir aber das fettgedruckte “Cybersicherheit” entgegen. Vielleicht findet sich hier mehr?
“Wir stärken die Cybersicherheit. Wir werden die IT-Sicherheit der bayerischen Verwaltung weiter erhöhen – bei Staat und Kommunen. Wir bauen dazu das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik weiter aus, werden die staatliche Infrastruktur insbesondere in sicherheitskritischen Bereichen deutlich verstärken und sorgen für einen sicheren Betrieb der staatlichen IT im staatlichen Rechenzentrum BayernServer.”
BayernServer und BayernCloud
Bei dem Begriff “BayernServer” muss ich schmunzeln, typisch CSU und ja auch irgendwie süß. Warum auch nicht, auf unserer Webseite werben mir auch mit “Privacy made in Bavaria”.
Aber mir wird auch unwohl. Nachdem ich beruflich bedingt tief drin bin in Informationssicherheit, ISO 27001:2013 Zertifikaten und Datenschutzmaßnahmen, habe ich hier Bedenken. Liegen dort etwa meine Bürgerstammdaten? Ich weiß ja nicht. Ein Server bei Amazon Web Services oder Google Cloud wäre mir lieber. Einfach, weil ich bezweifle, dass die staatlich-verwaltete IT eines Bundeslandes ein vergleichbares Sicherheitsniveau gewährleistet, wie zwei der größten Hostinganbieter der Welt.
Im Absatz zum Beamtentum steht zwar, man wolle weiterhin (?) die besten Köpfe für sich gewinnen. Aber selbst wenn man den Amazons und Googles dieser Welt die heiß begehrten Informatik-Genies wegschnappt, steht dem allein schon das hierfür (nicht) vorhandene Budget im bayerischen Haushalt entgegen.
Dabei scheint Bayern zumindest die Cloud als solche als sinnvolles Konzept anzuerkennen, denn neben dem BayernServer sieht der Koalitionsvertrag auch eine “BayernCloud” vor. Da muss man doch einfach schmunzeln.
“Wir werden den bayerischen Mittelstand bei der IT-Sicherheit im Kampf gegen Wirtschaftsspionage unterstützen. Für kleine und mittlere Unternehmen entwickeln wir eine BayernCloud. Damit können sensible Unternehmensdaten gesichert und geschützt werden.”
Zunächst einmal zeigt der Fakt, dass der bayerische Staat sich genötigt sieht, einen eigenen Cloud-Service anzubieten, dass es anscheinend immer noch keinen deutschen Anbieter gibt, der diese Marktlücke für kleine und mittlere Unternehmen füllt. Der Vorstoß ist meiner Meinung nach trotzdem zum Scheitern verurteilt, die Ressourcen lassen es einfach nicht zu. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.
Staat oder Hostinganbieter?
Ganz abgesehen davon, wollen wir überhaupt, dass Unternehmensdaten beim Staat liegen? 1984, Big Brother is watching you, hallo, hat da jemand aufgepasst?! Man implementiert allumfassende, für die Wirtschaft einschneidende Maßnahmen im Datenverkehr mit den USA, um zu verhindern, dass der amerikanische Staat Zugang zu Unternehmensdaten bekommt und hierzulande wird der Staat gleich zum Hostinganbieter? Super Idee.
Manch militanter Datenschützer wird vor diesem Hintergrund auch die Ausrufung des Überwachungsstaates aus dem Koalitionsvertrag herauslesen und folgendes Ziel als weitere Überwachungsmaßnahme deuten:
“Wir werden Polizei und Justiz beim Vorgehen gegen strafbare Inhalte stärken.”
Blockchain
Gerade vor dem umstrittenen neuen Polizeiaufgabengesetz in Bayern erscheint dieses Ziel als ziemlich weite Öffnungsklausel für was auch immer.
Gespannt bin ich jedenfalls auf die bayerische Blockchain-Strategie, die Idee liest sich ganz ok:
“In zukunftsträchtige Digitaltechnologien möchten wir frühzeitig einsteigen: Wir sehen für Bayern große Potentiale in der Blockchain-Technologie. Um sie zu erschließen und Missbrauchsmöglichkeiten zu unterbinden, bringen wir eine bayerische Blockchain-Strategie auf den Weg. Wir werden zudem prüfen, inwieweit wir die Vermittlung der notwendigen Grundlagen dieser Technologie in den bayerischen Lehrplänen verankern.”
Auch wenn Luft- und Raumfahrt für mich auf Bundes- oder Europaebene besser aufgehoben wäre, sind die Pläne hierzu wichtig, einer muss es halt vorantreiben. Bayern bekommt jedenfalls eine Hyperloop Teststrecke!
“Daneben fördern wir die Entwicklung autonomer Luftfahrtsysteme und errichten eine 400 Meter lange Hyperloop-Teststrecke zur Erforschung der Mobilität von morgen.”
Startups
Als letztes muss ich als Gründerin natürlich noch checken, was für Startups vorgesehen ist. Dass das Thema attraktiv ist, haben auch CSU und Freie Wähler erkannt und widmen dem Thema über eine halbe Seite, was, wenn man eine Wertung der Inhalte aus der Anzahl der Zeichen herauslesen mag, proportional viel ist.
“Wir wollen gerade Existenzgründer von unnötiger Bürokratie befreien. Dazu führen wir insbesondere den Runden Tisch zum Bürokratieabbau bei Gründungen fort und setzen uns auf Bundesebene weiter nachdrücklich für Verbesserungen im Steuerrecht sowie bei Statistik- und Dokumentationspflichten ein. Hier werden wir eine Abstufung nach Klein-, Mittel- und Großunternehmen prüfen.”
Bürokratieabbau für Gründer. Ein wichtiger Punkt, hoffentlich kommt das auch wirklich. Der nächste Absatz lässt zumindest hoffen:
“Wir wollen die Akquise privaten Gründerkapitals neben dem staatlichen Wachstumsfonds verbessern. Im Bund setzen wir uns für bessere Rahmenbedingungen zur Gründerfinanzierung ein. Wir werden ein digitales Starterpaket für Gründer prüfen, vor allem die Garantie eines Glasfaseranschlusses für jeden Gründer. Wir werden Unternehmensgründungen digital und an einem Tag ermöglichen und wollen Start-ups bei öffentlichen Ausschreibungen besser berücksichtigen.”
Unternehmensgründung digital und an einem Tag. Unternehmensgründung. Digital. An einem Tag. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen. Allein die Vorstellung löst Freude aus. So kann ich nach diesem kurzen politischen Ausflug weiter an meinem kleinen, hoffentlich bald großen, Unternehmen werkeln, dessen Hauptsitz in jedem Fall München ist und bleibt – und das ist auch gut so.
Über die Autorin:
Lisa Gradow (@lisagradow) ist Mitgründerin von Usercentrics, einer SaaS Consent Management Lösung. Zuvor war die studierte Juristin beim digitalen Vermögensverwalter Scalable Capital im Bereich Legal & Compliance, sowie Mitgründerin der US-amerikanischen AdTech Software Doorboost.
Über Usercentrics:
Usercentrics ist der Marktführer im Bereich Consent-Management-Plattformen (CMP). Die Software-as-a-Service-Lösung ermöglicht es Werbungtreibenden, Publishern, Agenturen und Technologie-Anbietern, die Einwilligung (eng. Consent) ihrer Nutzer zur Datenverarbeitung durch verschiedene Web-Technologien auf der Webseite datenschutzkonform einzuholen, zu verwalten und zu dokumentieren. Das Münchner Technologie-Unternehmen wurde 2017 gegründet und beschäftigt aktuell über 20 Mitarbeiter.
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