In der letzten Woche hatte ich die Gelegenheit, für den Startup-Verband den Digitalgipfel 2018 zum Thema Künstliche Intelligenz in Nürnberg zu besuchen. Was mir vor allem in Erinnerung blieb, war das schwache Catering. Vermutlich, weil ich Nürnberg stets als einen Ort der Köstlichkeiten erlebt hatte, hätte die Enttäuschung über die lieblosen Häppchen und ungewürzten Speisen kaum größer sein können. Glücklicherweise fährt man aber nicht fürs Essen zum Digitalgipfel, sondern für das Programm und den politischen Austausch. Aber auch was das angeht, bleibt leider ein bitterer Nachgeschmack.
Die Stärke des Digitalgipfels in Theorie und Praxis
In der Theorie besteht die Stärke des Digitalgipfels darin, durch einen unterjährigen Arbeitsprozess mit verschiedenen Stakeholdern in einem – unter Lobbying-Gesichtspunkten – relativ transparenten Prozess über die politischen Herausforderungen der Digitalisierung ins Gespräch zu kommen. Grundsätzlich kann ich nachvollziehen, dass die Bundesregierung aus Gründen der Transparenz Interesse an einem strukturierten Prozess hat. In der Praxis neigt ein solcher Prozess jedoch dazu, das eigentliche Thema vor dem Hintergrund der unzähligen Akteure zu verwaschen, sodass am Ende eigentlich keiner mehr weiß, worum es eigentlich geht. Steht darüber hinaus am Ende des Prozesses eine große Veranstaltung an, entwickelt sich ein Arbeitsklima, in dem alle Akteure ihre inhaltlichen Beiträge ohnehin nur noch vor dem Hintergrund der späteren Veranstaltung verstehen. Was dabei herauskommt, lässt sich sehr treffend in der FAZ lesen:
Noch deutlicher wird ein ranghoher Unternehmensvertreter, der aber gerade nicht auf der Bühne steht: Die unterjährige Arbeit in mehreren Fachgruppen im Vorwege des jährlichen Gipfels diene eigentlich nur dazu, sich einen Platz auf der Bühne zu erarbeiten – „inzwischen werden nicht einmal mehr Papierchen verabschiedet“, sagt er. Selbst die Treffen mit der Mittelebene der beteiligten Bundesministerien rechtfertigten nicht den Aufwand. „Hunderte Experten arbeiten ein Jahr lang in verschiedenen Gruppen, und heraus kommt eine Konferenz“, spottet er.
Diese Einschätzung kann ich aus meiner Arbeit in den Fachgruppen bestätigen. Im Laufe des Prozesses fragen sich alle Beteiligten immer deutlicher, was ihnen die Arbeit in der Fachgruppe eigentlich“nutzt“. Je schwieriger die Antwort auf diese Frage fällt, desto mehr geht es nur noch darum, sich ein möglichst großes Stück vom Aufmerksamkeitskuchen zu sichern. Diskutieren, die Positionen der anderen verstehen und daraus Synthesen zur Lösung der komplexen und vernetzten Herausforderungen der sich digitalisierenden Welt zu entwickeln – ein solches Vorgehen fehlt schmerzlich.
Digitalisierung als industriepolitisches Projekt
Bei dieser Kritik soll es doch nicht bleiben. Auch der industriepolitische Grundton der Veranstaltung bedarf einer umfassenden Diskussion. Die Kombination aus der industriepolitischen Geschichte des Gipfels und der Zuständigkeit des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bringt eine Veranstaltung hervor, die sich durch zwei wesentliche Eigenschaften auszeichnet: Die Reduktion der Digitalisierung auf seine wirtschaftliche Bedeutung sowie die Identifikation des Staates als wichtigen, wenn nicht gar zentralen Akteur darin. Politiker werden das nicht gerne hören und mögen auch einwenden, dass das Internet eine militärische Entwicklung sei, aber: Die bisherige Erfahrung, zumindest in der westlichen Welt zeigt, dass sowohl die Digitalwirtschaft als auch die Netzgesellschaft ganz zentral auf privater Initiative fußen. Ist es wirklich die Aufgabe des Staates, über die Verteilung von Fördermitteln oder den Aufbau eines„KI-Airbus“ den KI-Standort Deutschland zu fördern? Wäre es nicht sinnvoller, darüber zu diskutieren, welche regulatorischen Rahmenbedingungen einen fairen Wettbewerb digitaler Geschäftsmodelle schaffen? Oder wie privates Kapital im europäischen Venture-Capital-Markt besser mobilisiert werden kann? Sehr bemüht wirkt dann, den dominanten industriepolitischen Fokus mit der generischen Forderung nach „mehr Ethik“ zu kompensieren. Das, was durch die ausschließliche Mobilisierung unternehmerischen Wissens im Rahmen des Prozesses verloren geht, lässt sich nicht im Nachhinein durch etwas Küchenethik wieder einfangen – es bedarf vielmehr eines Prozesses, der das Thema in seiner Komplexität annäherungsweise erfassen kann.
Gedanken zur Lösung I: Vielfalt und Komplexität ertragen
In der reinen Kritik möchte ich jedoch nicht verharren,sondern nach vorne schauen. Was wären denkbare Wege, das Thema Digitalisierung im Rahmen eines strukturierten politischen Prozesses mit der oben genannten Zielrichtung zu diskutieren? Denkbar ist einerseits, den Digitalgipfel mangels inhaltlicher Relevanz und Tiefe konzeptionell zu streichen und ein Format zu finden, mit dem das Thema Digitalisierung in seiner Vielfalt und Komplexität besser abgebildet werden kann. Wie so ein Format aussehen könnte, vermag ich auch nur zu erahnen, doch scheint mir ein stärker dezentrales und auf Meinungsverschiedenheiten ausgelegtes Format besser geeignet zu sein als eines, das vor allem der Selbstprofilierung der regierenden Minister und der deutschen Industrie dient. Hierfür müsste jedoch von Regierungsseite aus viel Zeit und Mühe in den Aufbau von Beziehungen zu denjenigen Akteuren aufgebracht werden, die in der Fachdiskussion zwar seit Jahren präsent, aber aufgrund ihres kritischen Potentials als lästig oder zu gut informiert für derartig plakative Veranstaltungen empfunden werden. Klinken putzen bei zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Chaos Computer Club, der Wikimedia Foundation oder Digitalcourage dürfte der Politik zwar sehr schwerfallen, aber einem zukünftigen Format ein deutliches Plus an Widerspruch und Lebendigkeit verschaffen. Auch müsste die dynamische deutsche Gründerszene mehr Berücksichtigung finden – und das betrifft nicht nur den typischen Venture-Capital-Bereich, sondern auch das digitale Sozialunternehmertum.
Gedanken zur Lösung II: Bei der Zuständigkeit anfangen
Andererseits – und in Anbetracht der politischen Begehrlichkeiten realistischer – ist eine rein formale Umgestaltung des Prozesses hinter dem Digitalgipfel. Dafür müsste der Digitalgipfel zuallererst aus der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie herausgeholt werden. Es ist die Berufskrankheit einer Behörde, die tagein tagaus mit der Wirtschaftsregulierung befasst ist, Digitalisierung als rein industriepolitische Angelegenheit zu betrachten. Wer alternativ zuständig sein könnte, ist vor dem Hintergrund der Zuständigkeitsdiskussion unter dem Stichwort „Digitalministerium“ sicher keine einfach zu beantwortende Frage. Aber (Vorsicht Phrase!): Die Digitalisierung ist inzwischen ein alle gesellschaftlichen Bereiche umfassendes Phänomen. Die Frage ist nur, ob man bei dieser Einsicht verweilt oder auch eine dieser Einsicht folgende Politik macht. Dafür ist genau ein Jahr Zeit. Der nächste Digitalgipfel ist bereits angekündigt, nur besteht aufgrund einer „Vielzahl von Interessenten“ (Zitat Altmaier) Streit über den Austragungsort. Also wieder das Übliche: Aufmerksamkeitskuchen und so.
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