Datenschutzgrundverordnung, Urheberrechtsreform, Uploadfilter. Was haben wir in den vergangenen 12 Monaten über die Politik in Brüssel geschimpft. Die Bundesregierung war dabei – wohlwollend ausgedrückt – keine Unterstützung für die Digitalwirtschaft. Doch jetzt könnte sich das Blatt einmal wenden.
Die seit gestern rechtskräftige Richtlinie (EU) 2019/1151 der Europäischen Union regelt die Möglichkeit, Kapitalgesellschaften online zu gründen und Zweigniederlassungen online registrieren zu lassen. Das ist schon eine ganze Menge, angesichts der Tatsache, dass die Eintragung und Anmeldung von juristischen Personen bislang vom EU-Recht überhaupt nicht erfasst wurde. Online ist fast alles möglich: wir können in Krypto-Währungen bezahlen, Kredite arrangieren, Fahrzeuge kaufen oder verkaufen, Immobilien anbieten. Aber für die GmbH-Gründung ist in den meisten Mitgliedsstaaten heute noch das persönliche Erscheinen gefordert.
Die Richtlinie ist Teil des 2018 von der EU-Kommission vorgelegten sogenannten „Company Law Package“, das sich erstmals umfangreich mit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen rund um das Unternehmensrecht befasst und nun allmählich durch Richtlinien in bindendes Recht umgewandelt wird. Auf die Online-Firmengründung folgt im nächsten Schritt die Online-Kapitalerhöhung. Insbesondere für Startups mit ihren zahlreichen Finanzierungsrunden eine echte Erleichterung.
Doch wie immer geht alles viel zu langsam: die generelle Umsetzungsfrist endet am 1. August 2021, in begründeten Fällen kann die Umsetzungsfrist sogar um ein Jahr verlängert werden. Dazu sollte es nicht kommen. Denn angesichts zurückgehender Gründungszahlen in Deutschland sollten alle Kräfte darauf gerichtet sein, das Gründungsgeschehen zu stimulieren.
Denn „Online-Gründungen“ sind weniger eine Frage der Bequemlichkeit – das aber auch -, sondern vielmehr eine Frage der Kosten. In Irland beispielsweise reduziert sich der Zeitaufwand bei der Online-Eintragung auf ein Drittel gegenüber dem bis zu 15 Tage währenden Papierweg. Die Zeitersparnis wirkt sich unmittelbar auf die Kosten aus. Allerdings ist bislang nur Estland so weit gekommen, ein funktionierendes und allgemein nutzbares Verfahren umzusetzen. Die Zahl der Hightech-orientierten Firmeneintragungen im nördlichsten der drei Baltikstaaten zeigt, dass das vereinfachte Verfahren auch unmittelbare positive Auswirkungen auf den Standort hat.
Gerade für Scale-Ups, also Startups in ihrer stürmischen Wachstumsphase, die in der Regel auch eine Globalisierungsstrategie mit sich bringt, ist es entscheidend, schnell, ohne großen persönlichen Aufwand und mit minimalen Kosten internationale Zweigniederlassungen gründen zu können, um den Markteintritt so schnell, so reibungslos und so global wie möglich zu realisieren. Denn die digitalen Geschäftsmodelle der Plattform-Ökonomie erlauben es in der Regel, ein in einem Land erfolgreiches Geschäft sofort auf andere Staaten zu übertragen. Wer Unicorns, also milliardenschwere Startups, will, muss ihnen den Weg in die Internationalisierung so leicht wie möglich machen.
Das Company Law Package stellt dazu die richtigen Weichen auf (EU-)Internationalisierung. Das ist längst überfällig, denn die bisher gelebten Anforderungen stammen aus der Frühzeit des EU-Gesellschaftsrechts und sind längst weltfremd und unzweckmäßig. Ja, sie belasten die Unternehmen durch unnötige Kosten, Zeitverlust, zähe und personalintensive Prozesse.
Jetzt ist die Bundesregierung gefragt. Für sie ist es die nächste Chance zu beweisen, dass sie für die Digitalisierung mehr übrig hat als warme Worte in Sonntagsreden. Sicher ist, dass mit der Online-Gründung der nächste Kampf der Besitzstandswahrer gegen den digitalen Fortschritt vor der Tür steht. Die Notare, die insbesondere an Kapitalerhöhungen sehr gut verdienen, bringen sich längst in Stellung. Mit 115 Juristen unter den 709 Bundestagsabgeordneten sitzt die Lobby für den Status Quo direkt im Parlament. Dabei ist zu erwarten, dass auch diese Berufsgruppe, wie schon vor ihr Taxifahrer und Verlagsbosse nicht verstehen werden, dass die Politik ihre Branche nicht vor dem technologischen Wandel bewahren kann. Unsere große Koalition, wie wir sie kennen, wir die EU-Richtlinie mit maximalen Ausnahmen für Notare frühestens 2022 umsetzen. Die Bundesregierung, die wir uns wünschen, erkennt die Chance für den Digitalstandort Deutschland und beginnt heute mit einer Umsetzung, die die Anforderungen aus Brüssel übererfüllt.
Über den Autor
Florian Nöll ist Unternehmer aus Überzeugung. Als Experte für Startups und die digitale Wirtschaft ist er Dolmetscher zwischen innovativen Unternehmensgründungen und der Politik.
Buchautor und Kolumnist Nöll engagiert sich seit mehr als 10 Jahren in der Gründungsförderung. 2012 gründete er aus der Idee heraus, ein politisches Sprachrohr der Startups in Deutschland zu etablieren, den Bundesverband Deutsche Startups e.V mit, dessen Vorsitzender er seitdem ist.
INSIDE ist das Magazin des Bundesverbandes Deutsche Startups e.V. (Startup-Verband). Der Startup-Verband ist Repräsentant und Stimme der Startups in Deutschland und engagiert sich für gründerfreundliche Rahmenbedingungen. Im Dialog mit Entscheidungsträgern in der Politik erarbeitet er Vorschläge, die eine Kultur der Selbstständigkeit fördern und die Hürden für Unternehmensgründungen senken. Der Startup-Verband wirbt für innovatives Unternehmertum und trägt die Startup-Mentalität in die Gesellschaft. Als Netzwerk verbindet er Gründer, Startups und deren Freunde miteinander. Wenn du an einer Mitgliedschaft im Startup-Verband interessiert bist, erfährst du hier etwas über die Vorteile einer Mitgliedschaft und kannst hier die Mitgliedschaft beantragen.