Deutschlands Startups werden immer nachhaltiger und grüner. Gemeinsam mit der Erfahrung und dem Know-How von Corporates kann die Klimawende gelingen.
2021 haben Corporate VC Fonds rund 21 Milliarden Euro in Unternehmen im Klima-Technologie-Sektor investiert – mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2020. Das ist eine sehr gute Nachricht, nicht nur für die finanzierten Firmen. Denn den Klimawandel zu stoppen, ist die zentrale Herausforderung, vor der wir weltweit stehen. Und nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung können wir diese Aufgabe in der uns noch zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen. Die Klimakrise gemeinsam und entschlossen anzugehen bedeutet unter anderem, dass Startups und etablierte Unternehmen ihre jeweiligen Stärken mit an den Tisch bringen. Denn beide Seiten haben viel zu bieten – und viel zu gewinnen.
Denn aus dem dringenden Ziel der Dekarbonisierung, der Netto-Null-Emissionen und einer nachhaltigen Wirtschaft, ergibt sich ein gigantischer Transformationsprozess. Dieser betrifft große etablierte Unternehmen ebenso wie kleine Neugründungen – und bietet für beide und für den Innovationsstandort Deutschland immense Möglichkeiten. So zeigt die BCG Studie Klimapfade 2.0 beispielsweise, dass vom kompletten Austausch von Anlagen in der Schwerindustrie über erneuerbare Wärmelösungen bis zu einem Umbau des Stromnetzes bereits bis 2030 drastische Umwälzungen erfolgen müssen und erfolgen werden.
Auf dem richtigen Weg – aber noch nicht am Ziel
Erfreulich ist, dass auch der kürzlich veröffentlichte Green Startup Monitor 2022 des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. zeigt, dass wir uns bereits auf den Weg gemacht haben und gut vorankommen. So ist beispielsweise fast jedes dritte Startup in Deutschland “grün” und mehr als drei Vierteln von ihnen ist es wichtig oder sehr wichtig, eine positive gesellschaftliche oder ökologische Wirkung zu erzielen. Und: Die Entwicklung und Produktion grüner Technologien gewinnt immer stärker an Bedeutung. Solche Hardware-basierten digitalen Geschäftsmodelle machen inzwischen bei den grünen Startups fast 30 Prozent aus, Tendenz steigend. Es sind Technologien, die einerseits gut zum „German Engineering“ passen und andererseits im Erfolgsfall oft schwieriger nachzubauen sind als rein software-basierte Lösungen.
Zahlreiche Chancenfelder – nutzen wir sie!
Unter den verschiedenen Sektoren verfügen die Energiebranche und die Landwirtschaft bereits über eine starke Szene nachhaltiger Startups. Rund zwei Drittel der Startups sind hier inzwischen als grün einzustufen. Das ist sehr wichtig, denn ohne diese beiden Bereiche können wie die globale Erwärmung nicht stoppen. Sie sind essentiell für eine möglichst baldige Klimaneutralität. Bei der Reisebranche (Anteil grüner Startups 18 %) sowie im Bau- und Immobiliengewerbe (25 %) – ebenfalls Sektoren mit einem mächtigen Hebel in Sachen Klima – gibt es hingegen noch Verbesserungsbedarf.
Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels wirklich verhindern wollen, dürfen sich grüne Innovationen nicht nur auf ausgewählte und offensichtliche Bereiche beschränken. Sondern müssen möglichst flächendeckend und in allen wirtschaftlichen Sektoren umgesetzt werden. Wir bei BCG Digital Ventures haben zehn Chancenfelder im Bereich Klima und Umwelt identifiziert. Diese zehn Felder umfassen neben einer flächendeckenden Elektrifizierung oder einer Dekarbonisierung unserer Energieversorgung auch Bereiche, die bislang zu wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. Denkbar sind hier zum Beispiel noch mehr Aktivität im Bereich der Lebensmittelproduktion. Seien es umweltfreundlichere Düngemittel oder pflanzenbasierte sowie synthetische Proteinlieferanten, die den Fleischkonsum überflüssig machen oder stark reduzieren können.
Gemeinsam statt gegeneinander
Die Dekarbonisierung der Lieferketten, eine sektorübergreifende Kreislaufwirtschaft oder “grünere” Finanzprodukte bieten ebenfalls ein riesiges Potenzial an ungehobenen Innovationsmöglichkeiten. Und diese sind keineswegs allein den Startups vorbehalten. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass es sich auch für viele etablierte Unternehmen in Deutschland lohnt, diese Felder im Blick zu behalten. Viele dieser Corporates sind in einer guten Ausgangsposition und kennen die Herausforderungen der jeweiligen Branche sehr gut.
Wer sollte also besser wissen, welche Hürden es beispielsweise bei der Produktion von emissionsärmerem Zement oder Beton zu überwinden gibt? Wie man am besten Akkus mit einer höheren Energiedichte entwickelt? Oder wie mit sogenannten Direct-Air-Capture-Technologien (DAC) Kohlendioxid aus der Atmosphäre gefischt wird? Das Wissen und die oft jahrzehntelange Forschungserfahrung von erfolgreichen Traditionsunternehmen gepaart mit dem Pioniergeist und dem unkonventionellen Denken der neuen Generation von Startups ist eine erfolgversprechende und zukunftsfähige Kombination.
Eine gesunde Umwelt und eine gesunde Wirtschaft müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil, sie bedingen sich gegenseitig. Ebenso sind Startups und etablierte Unternehmen keine unvereinbaren Widersacher. Es geht vielmehr darum, herauszufinden, wie sie voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen können auf dem Weg in eine nachhaltigere Welt mit Netto-Null-Emissionen.
Damit wir die Innovationsfähigkeit grüner Startups in Deutschland weiter vorantreiben und damit die grüne Transformation der deutschen Wirtschaft beschleunigen können, sind verschiedene Maßnahmen wichtig: Die erwähnten Branchen mit einem niedrigen Anteil grüner Startups wie Bau, Finanzen oder Tourismus müssen gezielt stimuliert werden. Wir brauchen praktikablere Lösungen für staatliche Förderung von grünen Startups – idealerweise integriert in die Förderung von Hochschulgründungen. Denn Hochschulen sind ein fruchtbares Umfeld gerade für grüne Gründungen und Nachhaltigkeitsinnovationen. Zudem sollte die Politik einen stärkeren Fokus auf die Förderung von transformationsorientierten Startups richten und diese besser unterstützen. Diese überdurchschnittlich innovative, technologie- und wachstumsorientierte Gruppe der Gründungen ist besonders wichtig für einen zukunftsfähigen Umbau der deutschen Wirtschaft – hat es derzeit jedoch oft am schwersten.
Sicherlich kann ein Teil der Emissionen, die zur Erreichung der Klimaziele reduziert werden müssen, durch schon existierende Technologie erfolgen. Eine BCG-Studie kam 2021 jedoch zu dem Ergebnis, dass für rund 35% dieser notwendigen Reduktionen technologische Neuerungen und Durchbrüche erforderlich sind. Um diese “Technologielücke” zu schließen, sind in den nächsten 30 Jahren jedoch 100 bis 150 Billionen Dollar nötig – also 3 bis 5 Billionen Dollar jährlich. Immer mehr Unternehmen verstehen zum Glück, dass klimafreundliche und nachhaltige Produkte und Geschäftsmodelle mehr sind als Imagepflege und gutes Marketing: Sie sind auch lukrativ. Wichtig ist nun, dass Deutschland und Europa als Standorte diese grüne Transformation prägen und wichtige Innovationen hier entstehen und gedeihen können. Dann gelingt nicht nur die Klimawende, sondern auch die Transformation hin zu einer zukunfts- und tragfähigen Wirtschaft.
Stefan Gross-Selbeck ist Global Managing Partner von BCG Digital Ventures und Mitglied des Kuratoriums des Startup-Verbands.